Prozesssteuerung mit Officefloor-Management

Regelmäßige Meetings zur Prozesssteuerung
Regelmäßige Meetings zur Prozesssteuerung

Bei meinem letzten Beitrag habe ich von den praktischen Herausforderungen einer richtigen Prozessmessung berichtet. Nun unterstellt, Prozesskennzahlen liegen vor und es erfolgt eine pragmatische Prozessleistungsmessung – Was passiert mit den Prozessdaten?

Vor dem geistigen Auge vieler Prozessmanagement-Experten entwickeln sich bei dieser Frage gleich tolle Prozesscockpits. Diese meist nur durch aufwendige IT-Projekte zu realisierenden Dashboards befriedigen zwar die Informationsbedürfnisse vieler Führungskräfte. Wirklich nützlich sind solche Prozesscockpits aber nur, wenn Prozessmanager mit ihren Prozessteams zeitnah am Ort des Geschehens auftretende Prozessabweichungen korrigieren.

Kurzer Exkurs: Ich habe bei meinen jüngsten Vorträgen zum Reifegrad des Prozessmanagements im deutschsprachigem Raum eine einfache Zweiteilung vorgenommen. Ich weiß, es gibt zahlreiche ausgefuchstere Maturity-Modelle wie CMMI, SPICE, EFQM etc. Schließlich habe ich ja auch in meinem Buch mit dem OMEGA-Reifegradmodell ein ähnliches Verfahren entwickelt, dass den Entwicklungsstand verschiedener Prozessmanagement-Themen aus dem ibo-prozessfenster® von 1-5  beurteilt. Der Einfachheit halber teile ich jetzt mal die Praxiswelt verschiedener Prozessmanagement-Felder in Pflicht- und Kürelementen auf, also quasi schwarz-weiß, aber nicht im Sinne von schlecht-gut, sondern eher wie bei der Zwei-Faktoren-Theorie nach Herzberg: Hygienefaktoren oder Motivatoren.

Mit dieser Polarisierung will ich auch ein Stück weit bewusst machen, dass es für den wirklichen Durchbruch einer Prozessmanagement-Einführung mehr braucht als das Regeln von Prozessmodellierung, Prozessrollen und dem Gebrauch von Tools. Denn das sind alles Pflichtbestandteile, oder im Sinne des Kano-Modells Basis- und Leistungsmerkmale. Begeisterung lösen sie in der Regel beim Kunden, also den Betroffenen in den Fachbereichen, nicht aus. Dazu bedarf es schon Kürelemente. Und genau diese immer wieder zu finden und zu realisieren ist die große Herausforderung bei der Einführung und Pflege eines Prozessmanagementsystems.

So, nun wieder zurück zum eigentlichen Thema. Bezogen auf die hier relevante Prozesssteuerung sind für mich Aspekte wie Prozesskennzahlen, Prozessleistungsmessung und Prozesscockpits Pflichtelemente. Ohne die geht es nicht, sie sind notwendig, aber gewonnen hat man dadurch noch nicht. Die Kür bei der Prozesssteuerung liegt meines Erachtens darin, dass Prozessmanager mit ihren Prozessteams zeitnah am Ort des Geschehens auf Prozessstörungen reagieren. Klingt selbstverständlich und einfach, ist es aber nicht. Zumindest nicht in der Dienstleistungsbranche.

In der Industrie hat man die Bedeutung des Shopfloor-Managements längst erkannt.  Shopfloor ist das englische Wort für Fabrik. Und da entsteht die eigentliche Wertschöpfung. Also muss auch sämtliches Augenmerk auf diese Kernprozesse gelegt werden. Aber nicht im Elfenbeinturm,  also in den Büroetagen bei den Damen und Herren im Anzug, sondern auf BlaumannEbene, also direkt am Band oder in den Werkshallen. Wichtig ist, dass die verantwortlichen Führungskräfte mit den Betroffenen die Prozesse am Ort des Geschehens kontinuierlich optimieren. Dazu finden regelmäßige, zum Teil tägliche kurze Meetings statt, bei denen Maßnahmen zur Vermeidung oder Korrektur möglichen Prozessabweichungen gemeinsam vereinbart und sofort umgesetzt werden.

Bei diesem (natürlich) aus dem japanischen Kontext stammenden Vorgehen werden Methoden und Techniken aus dem Lean Management, KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess), Kaizen, TQM (Total Quality Management) und TPS (Toyota-Produktionssystem) eingesetzt. Dabei werden bewusst sehr einfache Werkzeuge angewandt, die schnell zu erlernen sind. Viele wundern sich zunächst, wenn sie auf dem Shopfloor handschriftlich ausgefüllte Tabellen, Charts und To-Do-Listen auf Flipcharts, Whiteboards und Pinnwänden vorfinden. Da gibt es doch für all diese Techniken wie Wertstromanalyse, OEE-Berechnung oder FMEA hochentwickelte Software-Lösungen? Ja, aber hier steht ein Tool meist im Weg einer schnellen und einfachen Handhabung.

Und warum nun Officefloor-Management, wenn doch die Prozessoptimierung von den Anzugträgern und Blaumännern gemeinsam vor Ort in den Werkshallen stattfinden soll? Nun, das ist die Übertragung des Shopfloor-Managements auf Dienstleistungsunternehmen. Denn dort findet die „Produktion“ ja auf den Büroetagen (Officefloor) statt: bei einer Bank in den Kredit- und Wertpapierabteilungen oder bei einer Versicherung im Vertrags- und Schadensbereich.

Aber das ist doch kein revolutionärer Ansatz. Die Forderung, Betroffene zu Beteiligte zu machen und gemeinsam Prozesslösungen zu entwerfen gibt es doch seit 25 Jahren. Ja, für einmalige Projekte zur Prozessgestaltung schon. Aber regelmäßig, gar täglich bei der Prozesssteuerung? Da braucht es in Dienstleistungsunternehmen noch ein Umdenken. Die Vorstellung, Betroffene eines End-to-end-Prozesses, nehmen wir mal das Beispiel eines Kreditprozesses, kommen regelmäßig mit ihren Führungskräften und Prozessmanagement-Beratern zusammen und verfolgen Prozesskennzahlen wie Durchlaufzeit, Prozesskosten oder Fehlerquoten, stößt in einer Bank auf Verwunderung.

Vielleicht ist es der Überdruss zu vieler Meetings, Gremien oder Projekte. Vielleicht sind es auch die hierarchisch, funktional geprägten Strukturen in Dienstleistungsunternehmen, die der ebenen- und abteilungsübergreifenden End-to-end-Prozesssteuerung im Wege stehen. Ich weiß es nicht. Fest steht, gegen ein solches Officefloor-Management gibt es derzeit in den Dienstleistungsunternehmen noch viele Vorbehalte und Widerstände.

Aber wie immer lass ich mich von den Bedenken nicht abhalten. Prozessmanagement ist ein Teamthema! Alle Ansätze, die auf ein Highlander-Prinzip setzen, nach dem Motto, es kann nur einen Prozessverantwortlichen geben, der Prozesse gestaltet und steuert, sind zum Scheitern verurteilt. Gott sei Dank gibt es ja die positiven Beispiele in der Industrie und auch schon erste gute Ansätze bei dem eine oder anderen Dienstleistungsprozess. So würde ich beispielsweise die 15-minütigen Daily Scrum-Meetings von Software-Entwicklungsteam als einen Schritt in die richtige Richtung sehen.

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