Lean Management – KVP, Kaizen oder Prozessgestaltung?

In Unternehmen begegne ich immer wieder Spielarten von Methoden, die im Kern die Idee von optimalen Prozessen verfolgen. Mal wird in Reinform der Six Sigma Ansatz implementiert, mal werden auf Basis von Lean Management-Prinzipien KVP-Teams etabliert und mal wird Prozessmanagement ganzheitlich eingeführt. Sehr oft wird ein hauseigenes  Konzept entwickelt, dass sich im Sinne eines „best of“ aus verschiedenen Methoden bedient. Dann wird beispielsweise anhand des DMAIC-Vorgehens ein Werkzeugkasten mit Lean- und Prozessmanagement-Techniken konzipiert. Statistische Methoden – eigentlich das Kernstück des Six Sigma Ansatzes – befinden sich interessanterweise meist nicht im Technikenkoffer. Und Rollen werden hausspezifisch benannt und individuell mit Aufgaben und Kompetenzen ausgestattet. Am Ende bekommt die Methode einen attraktiven Namen  und ein optisch ansprechendes Orientierungsmodell. Schulungs-, Kommunikations- und Marketingmaßnahmen flankieren sinnvollerweise die erfolgreiche Einführung des Prozessmanagement-Systems.

Das alles ist nicht ansatzweise verwerflich. Und ich wäre der Letzte, der hier mahnend den Finger hebt und sagt, dass das Ganze nicht methodisch sauber oder die Vorgehensweise gar falsch ist. Der Zweck heiligt die Mittel. Und schließlich habe ich als Berater selbst schon unzählige Male auf diese Weise hausspezifische Prozessmanagement-Methoden entwickelt und eingeführt. Aber: Schwierig wird es immer dann, wenn gleich mehrere prozessorientierte Managementansätze mehr oder wenig unabgestimmt nebeneinander in Unternehmen eingeführt und betrieben werden.

Mir ist es deshalb hier ein Anliegen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Konzepte darzustellen. In meinem Blogbeitrag „Six Sigma – Fallobst war gestern, geht es jetzt an die hochhängenden Früchte?“ habe ich mich bereits um den Vergleich von Six Sigma und Prozessmanagement gekümmert. Diesmal ordne ich Lean Management in die Welt der Prozessmanagement-Methoden ein.

Das ibo-Prozessfenster® beinhaltet als ganzheitliches Rahmenkonzept alle wesentlichen Ansätze im Prozessmanagement.  In der oberen Hälfte des BPM-Frameworks befinden sich die Methoden „Strategische Prozessorganisation“ und „Prozessgestaltung„, die darauf ausgerichtet sind, entweder alle Prozesse konsequent mit der Unternehmensstrategie abzustimmen oder einzelne Prozesse zielorientiert zu gestalten und einzuführen. Konzepte wie BPR (Business Process Reengineering), GPO (Geschäftsprozessoptimierung) oder auch Six Sigma gehören in diese Kategorie der Prozessmanagement-Konzepte. Bei aller Verschiedenheit der Ansätze im Detail eint diese Methoden ihr projektorientiertes, planerisches top-down-Vorgehen. Von der groben Prozesslandkarte kommend werden wichtige und verbesserungsbedürftige Prozesse identifiziert und priorisiert. Durch einzelne Prozessgestaltungsprojekte werden die End-to-end-Prozesse neu designed oder (grundlegend) überarbeitet. Der „große Wurf“ ist so möglich.

Sicherlich macht man sich es sehr einfach, wenn man Methoden wie Kaizen, KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess), TQM (Total Quality Management), Qualitätszirkel, BVW (Betriebliches Vorschlagswesen),  Ideenmanagement, Lernstatt oder Werkstattzirkel in einen Topf wirft. Dafür unterscheiden sich die Konzepte in puncto Herkunft, Vorgehensweisen, Techniken oder Rollen zum Teil deutlich. Einige der Ansätze setzen eher auf die individuelle, spontane Entdeckung von Optimierungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz oder im Umfeld der Stelle. Andere spüren mit moderierten Workshops Fehler und Verschwendungen auf. Wiederum andere gehen noch systematischer vor und verbessern anhand vorgegebener Checklisten und Prinzipien die Schritte ganzer Arbeitsabläufe. Am Ende ist jedoch der große gemeinsame Nenner all dieser Methoden ihr partizipativer Ansatz. Die Mitarbeiter werden auf breiter Front an den Verbesserungsinitiativen beteiligt. Die Konzepte sind auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegt. Orientiert am PDCA-Zyklus werden punktuelle Optimierungen ausprobiert und bei Erfolg durch Standardisierung auf breiter Front gefestigt. Diese Ansätze finden sich im ibo-Prozessfenster® unter dem Konzept „Kontinuierliche Prozessoptimierung“ wieder.

Und wie lässt sich Lean Management in diese Welten einordnen? Zunächst ist festzustellen, das mit dem Lean-Konzept nicht unbedingt ein Vorgehen im vorhergehenden Sinne verbunden ist. Vielmehr sind mit Lean-Prinzipien wie beispielsweise „Fluss-Prinzip umsetzen“ oder „Pull-Prinzip einführen“ Visionen von optimalen Prozessen beschrieben. Wie dieser Idealzustand erreicht wird, ist grundsätzlich frei wählbar. So spricht sicherlich einiges dafür, grundlegende Prozesslösungen wie „One-Piece-Flow“ oder „Kanban“ in grösser angelegten Projekten top-down anzugehen. Denn ob übergreifende Prozessketten ohne planerischen Ansatz „von oben“ fundamental umgestaltet werden können, wird vielerorts bezweifelt. Hier wird immer wieder angeführt, dass Betroffene zu sehr an ihrem Status-Quo hängen, als das sie aus eigenem Antrieb übergreifende Veränderungen umsetzen. Aber das ist auch laut Mike Rothers einer der Irrglauben vom TPS (Toyota Production System). Nicht die Mitarbeiter sind die Treiber des KVP bei Toyota, sondern die Team- und Abteilungsleiter sowie Ingenieure. In seinem Buch „Die Kata des Weltmarktführers – Toyotas Erfolgsmethoden“ schildert er eindrücklich, wie bei Toyota die Vision der Lean-Prinzipien schrittweise verwirklicht wird. Auf Initiative der Linienmanager probieren Führungskräfte gemeinsam mit ihren Mitarbeitern nacheinander kleine Einzelmaßnahmen aus. Es werden also bewußt nicht in Projekten lange Maßnahmenpläne zur Prozessverbesserung erarbeitet, die dann gebündelt umgesetzt werden. Bei diesem Listen-Vorgehen bestünde nämlich viel zu sehr die Gefahr, dass sich mit jeder Umsetzung einer Maßnahmen der Gesamtkontext ändert und im Prinzip der gesamte Projektplan zu überdenken ist. Mehr zur Verbesserungs-KATA gibt es in dem ibo-Blog „Die Hierarchie lebt wieder! Und macht vieles besser mit der Verbesserungs-KATA„.

Am Ende ist die Umsetzung von Lean Management ein Frage von Kulturkreis, Unternehmenskultur und Prozesstyp. Die Antwort auf die Frage, ob Lean-Prinzipien besser top-down oder bottom-up erreicht werden können, kann in Asien, Amerika oder Europa unterschiedlich ausfallen. Und da immer wieder betont wird, dass das Entscheidende beim Lean Management der Kulturwandel (Kata) ist, muss man selbstverständlich genau schauen, ob der eingeschlagene Weg zu einem Lean Unternehmen mit der Firmenkultur  kompatibel ist.  Im Moment gewinnt das „alte“ Thema Lean Management wieder an Bedeutung, weil die Lean-Prinzipien aus der Produktion in die Verwaltungsbereiche übertragen werden. Unter Titeln wie „Lean Office“ oder „Lean Administration“ untersuchen nun auch die indirekten Bereiche von Industrieunternehmen sowie Dienstleistungsfirmen, Banken oder Versicherungen ihre Wertströme. Sicherlich können Erfahrungen von Massenfertigungsprozessen aus der Automobilbranche auch auf Routineprozesse im tertiären Sektor übertragen werden. In wie weit aber Pull, Flussprinzip oder Muda (sieben Arten der Verschwendung) eins zu eins auch auf andere Prozesstypen wie Regel- und Ad-hoc-Prozesse angewandt werden können, ist zumindest diskussionswürdig. Da diese Prozesstypen den Löwenanteil der Prozesse von Dienstleistungsunternehmen stellen, ist dieser Transfer der Lean-Prinzipien für mich gerade bei vielen Lean-Einführungen die größte Herausforderung. Aber das gilt sowohl für bottom-up als auch top-down angelegte Lean-Einführungen.

Fazit: Auch wenn die „richtige“ Vorgehensweise bei Lean Management von den oben beschriebenen Faktoren abhängt, so habe ich einen Favoriten: den bottom-up Ansatz. Ich bin der Meinung, dass Veränderungen durch Selbstorganisation wirklich erfolgreich stattfinden. Wenn ich selbst Erfahrungen mache, sie beobachte, reflektiere und für sinnvoll erachte, werde ich sie dauerhaft in mein Verhalten übernehmen. Wenn beispielweise bereits sehr viele Mitarbeiter eines Unternehmens durch KVP-Maßnahmen wie 5S der Überzeugung sind, das aufgeräumte Arbeitsplätze sinnvoll sind, fallen Lean-Prinzipien wie Standardisierung auf fruchtbaren Boden. Und das ist anders als beim top-down-Vorgehen der projektorientierten Konzepte. Da sind es immer nur eine kleine Anzahl von Spezialisten und ausgewählter Betroffenen, die Prozesse auf dem Reißbrett konzipieren. Sie scheitern aber regelmäßig in der Umsetzung, weil eben gerade nicht die Betroffenen auf breiter Front von der Richtigkeit der Veränderungen überzeugt sind. Diese Überlegungen sind übrigens auch der Grund dafür, dass unsere Ausbildung zum ibo-zertifizierten Lean Manager auf der Arbeitsplatzebene beginnt und erst im zweiten Modul auf die Prozess- bzw. im dritten Baustein auf die Unternehmensebene wechselt.

Wer mehr zu den einzelnen Methoden im Prozessmanagement erfahren will, dem empfehle ich unsere Seminare zu den Themen Prozessmanagement, Lean Management und Six Sigma.

1 comments

  1. Guten Tag

    Der Beitrag ist sehr interessant. Hier bekommt man den richtigen Durchblick bei den Management Methoden. Gerne lese ich auf Ihrer Seite mehr. Nur zu empfehlen.

    Viele Grüße
    Martina

Kommentare sind geschlossen.