
Auf meinem Lenker wird es langsam eng: Zeit, Geschwindigkeit, Puls und Höhenmeter auf meiner Uhr und jetzt auch Streckenverlauf auf meiner iphone-App. Alles Kennzahlen, die ich während meiner Mountainbike Touren nicht mehr missen möchte. Nach der Runde synchronisiere ich dann einfach die Tourdaten mit meinem Heimrechner, um Profile, Trainingsstand und sonstige Reports in Ruhe auszuwerten. Und wenn ich will, kann ich mit nur einem weiteren Klick der „ganzen Welt“ über 1-2-sports, Facebook, twitter, etc. meine sportlichen Aktivitäten transparent machen.
Wenn das so selbstverständlich bei alltäglichen Dingen wie Fahrradfahren funktioniert, warum nicht auch im Job? Prozessmanagement wird täglich zahlenorientierter. Prozesscockpits, Dashboards, Prozesskennzahlen, Prozessmonitoring – Alles Begriffe, die das Herz eines Managers höher schlagen lassen. Ach wäre das nicht schön, permanent über die Prozessleistungen in seinem Unternehmen im Bilde zu sein?
Also werden zurzeit große Summen in die Hand genommen, um Prozesscontrolling zu realisieren. Prozessdaten werden gemessen, zu Prozesscockpits verdichtet und zur Prozesssteuerung genutzt. Dies nutzt den Kunden und damit auch den Unternehmen. Firmen wie Amazon sind unter anderem deshalb so erfolgreich, weil sie es schaffen, den Kunden über den gesamten Prozessverlauf verlässliche Angaben über Lieferzeiten, Prozessstatus und eventuelle Abweichungen zeitnah zu informieren.
Na dann ist ja alles prima, weiter so, sollte man meinen. Ein Blick in die Praxis zeigt mir jedoch, dass die meisten Unternehmen noch einen langen und schwierigen Weg bis zur angestrebten Prozessreife haben. Vier Herausforderungen der Prozessmessung möchte ich hier kurz anreißen. Mehr Hintergründe gibt es in dem ibo-Seminar “Kontinuierliche Prozessoptimierung“.
1. Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten
Prozessleistungsmessung ist wichtig, es geht in Zukunft kein Weg daran vorbei. Aber bitte nur so, wie es die Prozesse hergeben! Leider beobachte ich allzu oft, wie ein gut gemeintes Prozesserhebungs-Konzept unreflektiert über alle Prozesse hinweg ausgebreitet werden soll. Während Routineprozesse die notwendige Häufigkeit, Stabilität und Determiniertheit mitbringen, real time-basiert gemessen zu werden, ist dies bei Regel- und Ad-hoc-Prozessen nicht der Fall (mehr zu den Prozesstypen in meinem Beitrag “ACM,ECM, STP, MfG ojemine – Es kommt auf den Prozesstyp an“) Wenn dann beispielsweise für einen Personalrekrutierungsprozess eine aufwendige technische Lösung zur permanenten Prozessleistungsmessung entwickelt wird, die aufgrund instabiler Prozesse doch keine verlässlichen Daten liefert, verliert der Gesamtansatz an Glaubwürdigkeit.
2. Ja wo laufen sie denn?
Es ist leicht daher gesagt, „wir müssen wissen, wie lange der Prozess dauert“. Prozessleistung zu messen, ist nicht trivial. Wo ist der Prozessstart, was ist das Prozessergebnis. Und wie greift man die Informationen zum Input und Output eines End-to-end-Prozesses ab? Gerade bei den jeweiligen Endpunkten eines Prozesses hat man das Prozessmonitoring häufig nicht in eigener Hand. Da muss dann gegebenenfalls der Kunde, Lieferant oder Transporteur beim Processmining mitspielen.
Aber auch intern sind die richtigen Messpunkte nicht immer einfach zu bestimmen. Prozesswege trennen sind, laufen parallel, kommen teilweise wieder zusammen und manche Prozessäste enden im Nirwana. Wie will man verlässliche Prozesssteuerung betreiben, wenn man keine genauen Prozessanalysen über den Weg eines Objektes (Antrag, Auftrag, Beschwerde, etc.) durch das Haus hat? Basis jeder Prozessmessung und –steuerung ist also eine saubere Prozessdokumentation (siehe hierzu auch “Lust und Frust der Prozessdokumentation“)
3. IT macht vieles möglich, aber nicht alles
Die heute technisierte Welt verleitet einen allzu schnell dazu, von vorliegenden oder leicht ermittelbaren Prozessdaten aus der IT aus zu gehen. Aber vergessen wir nicht all die mit einem Telefonat, Gespräch oder „Waschzettel“ beginnenden Prozesse, die dann ihren Weg durchs Haus über unterschiedlichste IT-Systeme nehmen und womöglich auf Zuruf enden.
Jetzt höre ich gleich wieder die Prozessoptimierer sagen, „da muss man halt die In- und Outputs standardisieren und alle Prozessschritte automatisieren. Ja, aber! Da sind wir wieder beim vorigen Punkt der Prozesstypen. Es liegt in der Natur von Regel- und Ad-hoc-Prozessen, dass sie teilweise oder komplett von Menschen ausgeführt werden. Natürlich sollte man nicht jedem Wunsch nach individueller Prozessausgestaltung gleich nachgeben. Aber häufig sind es dann doch gerade die eingeräumten Freiheiten, die z.B. ein Kundenberater spontan und kreativ zum Wohle der Firma nutzt.
Wenn wir also akzeptieren, dass es adaptive Prozesse gibt – und das sind laut Gartner immerhin 80% der Prozesse – dann benötigen wir alternative Erhebungsverfahren zum vollautomatisierten real-time-Monitoring. Und hier denke ich nicht an Stift und Papier sondern an intelligente Mensch-Maschine-Schnittstellen. Dabei geben beispielsweise Prozessbetroffene Informationen zu Prozesszeiten und –mengen stichprobenartig übers Internet oder Mobile Computing an zentrale Auswertungstools ab (ein Beispiel findet sich hier)
4. Was des einen Freud, ist des anderen Leid
Selbst wenn die organisatorischen und technischen Aspekte aus den Punkten 1-3 bestmöglich umgesetzt werden, ist eine erfolgreiche Prozessleistungsmessung nicht garantiert. Für das Management liegen die Vorteile transparenter Prozessergebnisse auf der Hand. Aus der Sicht der zu Messenden sieht dies häufig anders aus. Zunächst ist Prozessmessung für sie Mehraufwand, der on-top zur eh schon eng dimensionierten Tagesarbeit hinzukommt. Und dann gibt es natürlich diverse Ängste, was passiert, wenn die erwartete Prozessleistung nicht erbracht wird. So erklärt sich auch, dass vielfach Datenerhebungen manipuliert werden. Diesen könnte man natürlich durch noch mehr Messungen und Plausibilitätsprüfungen auf die Schliche kommen. Aber das wäre nur mehr desselben, noch mehr Misstrauen und noch mehr Kontrollen.
Viel besser ist hier der Weg, den Prozessmanagern und Prozessteammitgliedern zu vertrauen. Wenn sie verinnerlicht haben, welchen Beitrag sie mit ihrer Prozessleistung zum Kundennutzen beitragen, liegt es in ihrem eigenen Interesse, ihre Prozessergebnisse permanent zu verfolgen. Neben der Vertrauenskultur braucht es auch eine Fehlerkultur im Unternehmen. Erleben Prozessbeteiligten, dass mit Prozessabweichungen konstruktiv umgegangen wird, fällt eine ehrliche Prozessmessung deutlich leichter.
Und jetzt?
Beherzigt man die aufgeführten Punkte, liefert die Prozessmessung Zahlen, die dann richtig interpretiert werden müssen. Auf Basis der Prozessanalyse wird darauf entsprechend schnell reagiert. Diese Prozessleistungsdiagnose und –steuerung ist ein weites Feld, das ich beim nächsten Blogbeitrag aufgreife.
..” Viel besser ist hier der Weg, den Prozessmanagern und Prozessteammitgliedern zu vertrauen. Wenn sie verinnerlicht haben, welchen Beitrag sie mit ihrer Prozessleistung zum Kundennutzen beitragen, liegt es in ihrem eigenen Interesse, ihre Prozessergebnisse permanent zu verfolgen. Neben der Vertrauenskultur braucht es auch eine Fehlerkultur im Unternehmen. Erleben Prozessbeteiligten, dass mit Prozessabweichungen konstruktiv umgegangen wird, fällt eine ehrliche Prozessmessung deutlich leichter.”
Genau hier setzt dann der Rotstift der Verantwortlichen an. Bei den soft facts. Das bei vielen Projekten zur Prozessoptimierung ursprünglich (noch) budgetierte Changemanagement wird zusammengestrichen. Leider!
Ja, das deckt sich leider mit vielen meiner Erfahrungen bei Einführungen von Prozessmanagement vor allem in Großunternehmen. Dabei finde ich bei einzelnen Verantwortlichen durchaus die Sensibilität für die Bedeutung von Change Management. In der Summe sind sie aber dann alle “Gefangene ihres komplexen Systems”. Und selbst wenn das ursprüngliche Budget für eine professionelle Veränderungsbegleitung eingesetzt wird, ist es noch ein extrem langer Weg hin zu einem prozessorientierten Unternehmen. Denn jahrzehntelang antrainierte Verhaltensweisen schmeißt man halt nicht so einfach über Board. Aber da mir hin und wieder positive Beispiele begegnen und ich von der Richtigkeit einer Vertrauens- und Fehlerkultur überzeugt bin, werde ich mich weiter dafür einsetzen.
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Beherzigt man die aufgeführten Punkte, liefert die Prozessmessung Zahlen, die dann richtig interpretiert werden müssen. Auf Basis der Prozessanalyse wird darauf entsprechend schnell reagiert. Diese Prozessdiagnose und -steuerung ist ein weites Feld, das ich beim nächsten Blogbeitrag aufgreife…”
Ich freue mich auf Ihren nächsten Blogbeitrag. Vor allem auf Ihre Ideen zur Bewertung bzw. Interpretation der Zahlen.